Nr. 31 Samstag/Sonntag, 7./8. Februar 2004

 

Paradiesvogel in Franken

Birgit Urmsons Roman „Germaine: Leidenschaft und Macht“


Erzählt das Leben der Germaine de Staël als Roman: Birgit Urmson

Ein Bestseller ist Birgit Urmsons Buch seit Monaten – in

Windsbach, der Heimat der Autorin, die heute an der

Westküste der USA lebt. Doch seit der Frankfurter

Buchmesse muss sich beeilen, wer noch ein Exemplar

der ersten Auflage von „Germaine“ sein eigen nennen

will. Für unsere Region hat die historische Thematik eine

besondere Relevanz: Germaine de Staël, eine der

reichsten, gebildetsten und anspruchsvollsten Frauen

ihrer Zeit wird von Frankreichs Diktator Bonaparte aus

Paris vertrieben und entdeckt eine für sie ganz neue,

abenteuerliche Welt – im Franken des Jahres 1803.

Auf einem brodelnden Nebenschauplatz der Weltgeschichte – in Würzburg – knirschen die luxuriösen Karossen der Emigrantin zum Zwischenhalt. Den Bajonetten der kurbayrischen Infanterie sind nicht nur Münchens höchste Minister gefolgt, um das reiche Hochstift aufzulösen und das geistliche Fürstentum zu „mediatisieren“ – auch Denker vom Range eines Friedrich Wilhelm Joseph Schelling hauchen hier dem akademischen Leben einen neuen, unkonventionellen Geist ein.

Psychologischer Feinstrich
Kunstvoll verwebt die Autorin drei Handlungsebenen: Bis zur Erschießung eines oppositionellen Herzogs zeichnet sie mit feinem psychologischem Strich den Sündenfall Bonapartes vom ehemaligen Freiheitshelden bis zum zynischen Gewaltherrscher. Gerade durch seine Verfolgung erlebt sein Opfer Germaine de Staël im Exil die Romanze ihres Lebens. Für Liebhaber der deutschen Romantik ist ebenso reizvoll der „Nebenschauplatz“ mit dem Dreiecksverhältnis zwischen August Wilhelm Schlegel, Schelling und der „Lichtgestalt“ Caroline, die ihre hohe Begabung für die Karriere beider Männer geopfert hat. Als erfahrene Filmregisseurin liebt es Birgit Urmson, ihre Figuren mit kleinen Schlaglichtern charakterlich zu demaskieren, psychologische Zustände aufzudecken: Ein Blick Schlegels in den in seinem Hut angebrachten Kosmetikspiegel, ein Biss auf die Lippen, „um sie voller zu machen“, und sie hat den Literaten schnell als eitlen Geck entlarvt. Man fühlt sich nicht als Voyeur, wenn die Autorin ihre Figuren wie eine Puppenmutter buchstäblich bis auf die Unterwäsche auszieht – ob Napoleon, de Staël, den Attaché – die Fülle gut recherchierter Information über die Stoffe und den sozialen Hintergrund ist bestechend.

Hollywood pur ist die Figur des Attachés. Der ritterliche Offizier, der als Spion auf die Titelheldin angesetzt wird, sich verliebt und sie aus Pflichtbewusstsein wieder verlässt, hat eine rein dramaturgische Existenzberechtigung. Unvergesslich ist sein Auftritt als Retter in der Würzburger Residenz im Moment von Germaines tiefster Demütigung.

Liebeserklärung an Franken
Eine dezente Liebeserklärung an Franken ist das Buch allemal, wenn man die leise Symphonie romantischer Heimaterinnerungen im Hintergrund mitklingen hört: Chormusik und Blaskapellen, Mohnfelder, Streuobstwiesen und Klapperstörche, Nachtwächter, Kachelöfen und hochgetürmte Federbetten, Düfte von Sauerkraut und Bratwürsten, Kartoffelklöße, Rippchen in Biersoße, Buttercremetorte, natürlich Wein in bauchigen Flaschen.

Die fränkische Welt ist reine Exotik für Germaine de Staël – und umgekehrt. Die extrovertierte Heldin fasziniert, weil sie die Aura ihres Pariser Salons auch in der Fremde mit sich führt wie den Duft ihres Maiglöckchenparfüms. Sie fasziniert durch ihre Widersprüche, denn ihre Bildung und beherrschender Charakter verhindern nicht eine verhängnisvolle Arglosigkeit gegenüber ihren Widersachern. Einprägsam ihr Erscheinungsbild mit Stola, Turban und Feder bleibt nach dieser Lektüre – ein Paradiesvogel in Franken.

Es ist kein Geheimnis, dass dieser Roman auf Anraten Artur Brauners quasi als „Buch zum Film“ nach einem von der Autorin verfassten englischen Drehbuch entstanden ist. Die literarische Leistung ist ein Glücksfall: Um eine kleine Episode auf der Flucht aus Frankreich so fesselnd und historisch fundiert mit Pariser Stil und fränkischem Lokalkolorit nachzuzeichnen, bedurfte es einer fränkischen Autorin mit einer kosmopolitischen Weltsicht. Wie die Kalifornierin Birgit Urmson. Ingo Bathow

Birgit Urmson: „Germaine: Leidenschaft
und Macht“. Verlag Königshausen & Neumann,
Würzburg, 272 Seiten, 16,50 Euro.


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