Die Historie vermittelt sich in fühlenden, denkenden
und handelnden Personen. Sie agieren allerdings nicht frei, sondern
in vorgezeichneten Bahnen. Jeder Autor, der von Empathie und Respekt
vor seinen fiktiv-realen Personen getragen wird, hat jene Bahnen auszumesssen
und nachempfindend abzuschreiten, um seinen Subjekten gerecht zu werden.
Insbesondere wird er die spezifische Tragik zu deuten wissen, die darin
besteht, daß eine Person auf der Höhe ihrer Zeit und schon an oder gar
jenseits ihrer Grenze stehen mag.
So wäre es eine Art literarisches Gedenken, mit dem
Birgit Urmson ihre Heldin Mme de Staël kundig, liebevoll und behutsam
in Szene setzt. Diese hatte ihren gerüttelten Anteil am Glanz und Mut,
aber auch an den Illusionen des französischen gebildeten Bürgertums
vor gut 200 Jahren. Mit dem Paukenschlag der Grande Revolution stand
es zeitweise an der Spitze der europäischen Kulturbühne. Die Protagonistin
Mme de Staël wächst mit den neuen Mächtigen, bedient sie, fordert sie
aber auch - unabhängig und geistvoll - heraus. Sie wird zur Muse des
revolutionären Aufbruchs, erfahren in der literarisch-politischen Mikrowelt
des Salons, Kosmopolitin, Ehefrau, Feministin. Ihr, der Idealistin Zusammenstoß
mit Napoleon, dem Totengräber und machtbewußten Erben der Revolution,
ist unweigerlich und bildet die von Birgit Urmson meisterhaft gezeichnete
politisch-persönliche Grunddynamik des Geschehens.
Napoleon versucht, den Dorn zu ziehen, indem er Mme
de Staël in das aufgeschreckte und politisch erwachende Deutschland
exiliert. Beider Aufbruch verschlingen sich zu historisch-politisch
und persönlich höchst aufregenden und spürbaren Kreisen. Aus ihnen erwachsen
der reif erblühten Frau mannigfache Eindrücke, vor allem aber der Sturm
der Leidenschaft, auf den sie gewartet hat und den sie nun, in der fränkischen
Provinz, mit allen Höhen und Tiefen erlebt. Aus dem Zentrum der Macht
entfernt, begibt sie sich in die Mitte einer ganz anderen, nämlich der
des bittersüßen Eros und vollendet darin ihr Schicksal. Reflektierend
und schreibend wird es in ihr nachbeben.
Die Sprache Birgit Urmsons folgt ihrer Heldin ebenso
geschmeidig, wie diese sich im vorgestellten historischen Ambiente bewegt.
Sie beleuchtet ihre Dramatik in einer Form, die deren Inhalt, den Kaskaden
und Untiefen der Leidenschaft, entspricht, betulich schildernd, zart
und zärtlich, atemlos und hart. Sie gestaltet das narrative Gewand der
Geschichte Germaines, will nicht mehr und nicht weniger, als ihrer bebenden
Suche nach dem eigenen Kairos, dem einzigartigen Glücksaugenblick, Ausdruck
zu verleihen. Hierin folgt sie, auch sprachlich, den Spuren der Frühromantik
mit aller ihrer Geworfenheit und Entzückung.
Birgit Urmson versteht, liebt und umflicht eine große
Geschichte zwischen Macht und Leidenschaft. Damit bietet sie den Lesern
reichlich Identifikations- und Lernchancen, wie es der gute historische
Roman tut. Das kann schwerlich einfach aus dem Nichts ersonnen werden.Vielmehr
entsteht es als unverwechselbares persönliches Schicksal im Schoß der
Geschichte. Die Story schreibt sich so in die Historie ein - und beide
in das Buch. Aufgegriffen, transformiert und mitgeteilt wird es von
der Autorin als aktueller literarischer Person. Man wird daher annehmen
dürfen, daß zwischen ihr und der Erzählung mitsamt den leitenden Figuren
eine Gleichläufigkeit, ja ein Bündnis besteht, in dem sich historischer
Stoff und persönliche Intention zusammentun. Der gemeinsame Springpunkt,
das glaube ich, als über die Jahre das Werk begleitende und fördernder
Bruder sagen zu können, besteht in einem großen und suchenden Herzen,
das trotz aller Beengung und Beschwerung, in Irr- und Glücksläufen seinem
Leitstern folgt. Es geht um das geheimnisvolle Scharnier zwischen den
eigenen Lebensaspirationen und den vorwaltenden Umständen sowie auftauchenden
Personen in der kreativen Begegnung. Genau hieran hat Birgit Urmson
lange laboriert. So verwebt sich die Geschichte der Germaine de Staël
mit der Autorin, wird zu einer doppelten piece de vie, einem Lebensstück
also, das beide widerspiegelt. Vielleicht und hoffentlich erkennen sich
auch viele LeserInnen in diesem literarischen Werk und fügen der Liebe
und der Macht, den Primäragenten des Lebens, neue imaginative Blätter
hinzu. So geriete der historische Roman, dieser Roman, zu einer guten
Helferin der begründeten Phantasie. Der Autorin, meiner Schwester, wünsche
ich hierin viel Freude und Erfolg.
Gerhard Armanski