Fiktion und Historie verweben sich, die "historische"Madame de Staël hätte es mühelos fertiggebracht sich in einen napoleonischen Spitzel zu verlieben. Zu ihren Liebhabern zählten realiter Talleyrand (späterer Außenminister Napoleons), Benjamin Constant (gefeierter Autor des ersten psychologischen Romans "Adolphe") etc. Die Erzählung neigt in der Schilderung einer Episode aus dem Leben der "Erzfeindin"des Kaisers eher zur Untertreibung, bewegt sich im Bereich des Wahrscheinlichen. Um die Madame de Staël des Jahres 1803 zu verstehen, lohnt ein Blick auf die historische Figur.

Madame de Staël ist kein Rousseau, Montesquieu oder Montaigne. Ihr Werk läßt sich nicht im Pantheon literarischer Unsterblichkeit einordnen, von ihr liegen kein Esprit des Lois oder "Bekenntnisse" vor. Ihre Wirkung beruhte nicht in einem bahnbrechenden Oeuvre, sondern in ihrem Leben, sie beherrschte das geistige Frankreich, drückte einer intellektuellen Epoche ihren Stempel auf. Ihr Lebensweg gleicht eher dem von Voltaire, den sein König zwang Frankreich zu verlassen, um als Patriarch von Ferney einen geistigen Hofstaat zu errichten. Sie teilte nicht bloß das Schicksal des Exils mit Voltaire, sondern sie steht wie er von Geburt bis zu ihrem Tod im Zentrum des öffentlichen Interesses. Ein Medienphänomen avant la lettre, diktiert sie den Zeitgeist, sorgt für Unruhe. Und keiner war sich dieser Wirkung bewußter als Napoleon.

...In den Jahren 1801 schien er sie mehr zu fürchten, als die gesamte österreichische Armee, die ihn bei Marengo beinahe geschlagen hätte. Die Energie seines Hasses wirft ein schmeichelhaftes Licht auf die Staël. Er bringt es sogar fertig als erster Konsul eine anonyme, selbstverständlich vernichtende Rezension ihres Romans "Delphine" zu publizieren. Sie torpediert durch ihre bloße Präsenz die Friedhofsruhe seines zukünftigen "Empire". Wer war die Frau, welche die Impertinenz besaß, den General Bonaparte in seinen Privatgemächern aufzusuchen. Als man sie verbeschied, Bonaparte nehme gerade sein Bad ein, ließ sie sich nicht ohne weiteres abschütteln, sondern konterte: "Das Genie habe kein Geschlecht". Woher kam ihre Chupze?

Germaine de Staël war Jacques Neckers Tochter. Diese Tatsache blieb für ihr Leben bestimmend. Ihr Vater war Genfer Bankier, Millionär und zeitweilig Staatsmann. Er heiratete eine gewisse Curchod, das Zimmermädchen der ursprünglich vorgesehenen Heiratskandidatin. Am 22. April 1766 kam Germaine zur Welt. Genf entsandte Necker an den französischen Hof, wo die neue Madame Necker einen Salon zur Förderung seiner Karriere unterhielt. Die junge Germaine konferierte mit Diderot, d`Alembert, den Geistesgrößen ihrer Zeit. Ihre Erziehung schwankte zwischen Vernachlässigung und Überforderung, sie litt unter den pädagogischen Experimenten der Mutter, die sie unbedingt im Geiste von Rousseau - oder was sie dafür hielt - aufwachsen lassen wollte. Das Resultat war eine ungehemmte Wilde des Salons, die sich dem Joch der Mutter nicht beugte. Sie flüchtete zu einem Vater, den sie vergötterte, der zum Idol ihres Lebens wurde. Sie wuchs in einem Ambiente von Reichtum, ständiger intellektueller Überspanntheit und im Epizentrum politischen Geschehens auf. Als Wunderkind kultivierte sie die Kunst der Konversation in den letzten Jahren des Ancien Regimes, genoß jene Süße des Lebens, welche die Revolution vertreiben sollte.

Sie heiratete 1783 einen Mitgiftjäger, Monsieur de Staël, der von den Neckerschen Millionen träumte. Die Heirat bot die Chance sich von Familie und Ehemann zu emanzipieren. Madame de Staël übernahm mit sanfter Gewalt den Salon ihre Mutter, entmachtete ihren Gatten und fing an ihr Leben zu inszenieren. Sie lernte u.a. Talleyrand kennen und lieben, wobei dieser eher von der Brillianz ihres Verstands sich angezogen fühlte, als ihrem weiblichen Charme erlag. Sie umgab das Fluidum der Politik. Am Vorabend der Revolution stand die Berufung ihres Vaters zum Superminister bevor. Sie übte sich in der Kunst der Konversation, eine französische Spezialität über die sie sich ausließ: "Sind Worte nicht nur wie in anderen Ländern ein Mittel, einander über Gedanken, Gefühle und Geschäfte zu unterrichten, sondern ein Instrument, auf dem man gerne spielt und das den Geist neu belebt, so, wie bei manchen Völkern die Musik, bei andern starke Getränke. Das Wohlbehagen, das eine rege Konversation auslöst, beruht... auf einer gewissen Art, gegenseitig aufeinander einzuwirken, sich rasch und wechselweise ein Vergnügen zu bereiten, zu sprechen, sobald der Gedanke sich regt, sich im gegenwärtigen Augenblick seiner selbst zu freuen, Beifall zu ernten, ohne besondere Anstrengung, seinen Geist in allen seinen Nuancen durch Tonfall, Geste und Blick zu bekunden - kurz auf der Fähigkeit, nach Wunsch eine Art Elektrizität zu erzeugen, die Funken schlägt, ein Ventil für die überschüssige Vitalität der einen und ein Mittel, die andern aus peinlicher Apathie aufzurütteln."

Die Revolution brach aus, ihr Vater wurde an seinem Wohnsitz, am 23. Juni 1789, von den Mitgliedern der Generalstände und dem Volk, nach seinem Rücktritt als Minister des Königs aufgefordert, dieses Amt wieder anzunehmen. Madame de Staël stand mitten in der dicht- gedrängten Menge und geriet förmlich in Ekstase. "Die glühende Begeisterung ist mir noch im Gedächtnis" schrieb sie um 1816 "und erneut fühle ich die Bewegung, die mich in jenen glücklichen Tagen der Jugend und Hoffnung ergriff." Die Rolle des Papas im Jahr 1789 blieb umstritten. Als Erlöser Frankreichs gefeiert, verspekulierte er den Kredit seiner Popularität, sah sich genötigt, das Land zu verlassen. Aber Germaine stand an der Front. Sie verfaßte eine Schrift zur Verteidigung von Marie Antoinette, entkam knapp einer aufgebrachte Meute, tendiert in dieser Zeit, um einen Ausspruch von Talleyrand zu paraphrasieren, die Menschen vor dem Ertrinken zu retten, welche sie ins Wasser gestoßen hatte. Ihre Intrigen im revolutionären Frankreich, ihr Sponsoring von Geliebten und Freunden, konnte für den Gegenstand ihrer Zuwendung lebensgefährlich werden. Von dem Salon der Rue du Bac wollte sie mit gestalten, ein Rolle spielen. Sie bewirkte zeitweilig die Ernennung ihres damaligen Liebhabers, Narbonne, zum Kriegsminister. Dieser schenkte ihr zwei Söhne und saß bald politisch zwischen allen Stühlen. Verfemt, gehaßt, als Bacchantin der Revolution apostrophiert, ließ sich ihr Enthusiasmus fürs Gestalten nicht zähmen.

Es folgt in den Jahren von 1794 bis 1803 ein Ziegeunerleben. Sie eilt durch Europa, teilt ihre Zeit zwischen dem Landsitz ihres Vaters in der Schweiz "Coppet" und Paris. Erste Publikationen u.a. ein Schlüsselroman "Delphine". Bonaparte fasziniert sie eine Zeitlang. Ein Biograph vermerkt:

"Sie hatte zweifellos den Eindruck, daß der größte lebende Mensch und die größte lebende Frau es der Menschheit schuldig seien, sich im Geist und, wenn irgend möglich, auch im Fleisch zu vereinen: Jedenfalls aber mußten sie dabei gleichberechtigte Partner sein. Napoleon witterte das sofort. Er fand die Vorstellung abstoßend..."

Andere Männer, der bedauernswerte Benjamin Constant, erwiesen sich als weniger resistent. Er war fünfzehn Jahre lang ihr Freund und Geliebter, litt unter den Eigenschaften, die Napoleon verabscheute und kommentierte ein Beisammensein mit seiner Mätresse: "Ich habe niemals ein Frau gekannt, die einen so ununterbrochen in Anspruch nahm, ohne sich dessen bewußt zu sein... Jedermanns Leben muß zur Gänze, in jeder Stunde, in jeder Minute, jahrelang, zu ihrer Verfügung stehen, sonst gibt es einen Ausbruch wie alle Gewitter und Erdbeben zusammengenommen."

1803, der Beginn des Romans "Germaine", ist der Zeitpunkt, in dem Madame de Staël anfängt, sich für ihr Fernduell mit dem Kaiser zu rüsten. Über sich vermerkt sie: "Der Verstand erreicht seine volle Kraft erst, wenn er sich gegen die Gewalt wendet." 1803 markierte eine Schnittstelle in ihrem Leben, erst im Exil, im Leiden, entdeckt sie die wahre Kraft. Und der Roman von Birgit Urmson ist eine Huldigung dieser Unbezähmbaren, welche die Prophezeiung Napoleons erfüllt: "Es gibt nur zwei Mächte in der Welt - das Schwert und der Geist.. Auf lange Sicht wird das Schwert immer vom Geist besiegt." Ihre Vision Europas, des Ausgleichs zwischen Norden und Süden, überlebte den Traum des Kaisersreichs. Aber eine Madame de Staël wäre heute nicht das Glück von Bürokraten in Brüssel... Ich wünsche Ihnen an diesem Abend, auf ihren Spuren zu wandeln, dem Zauber von Germaine zu verfallen.

 

 

 



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